ELECTRIC WOW / 08.01.2025.
Polestar 4 Long Range Dual Motor im Test
Das herausstechendste Merkmal des Polestar 4 – die nicht vorhandene Heckscheibe – ist schnell abzuhaken. Ja, die Designer haben recht: Bei modernen Autos sieht man sowieso kaum hinten raus, da reicht eine Kamera als Rückspiegel vollkommen. Nur Brillenträger tun sich ein wenig hart, wenn sie umfokussieren müssen, nachdem das Rückdisplay schon sehr nahe an einem sitzt, dafür aber ein gestochen scharfes Bild vom Verkehr hinter einem liefert. Auf den ersten Fahrten wurde uns da fast etwas schwummrig. Man erspart sich die Bedienung eines Heckscheibenwischers, somit auch den Wischer selbst und die Reinigungsflüssigkeit. Okay, kann man machen. Polestar gehört zu den ersten Autoherstellern, die das in Serie produzieren. Ist eine Sache des persönlichen Geschmacks. Kommen wir zu den wichtigen Dingen!
Kleiner aber mehr Platz für Gepäck
Der 4,84 Meter lange Polestar 4 ist kleiner als der Polestar 3 (4,90 Meter), heißt aber so, weil er früher auf den Markt kommen sollte. Man richtet sich also nicht nach der Größe, wie man es von den meisten anderen Herstellern gewohnt ist. Nach einer Verzögerung beim 3er sind im Endeffekt beide gleichzeitig im Herbst 2024 nach Österreich gekommen.
Wir testen den Polestar 4 Long Range Dual Motor, was also eine hohe Reichweite und zwei Elektromotoren verspricht. Durch deren Verteilung (vorne/hinten) ergibt sich ein Allradantrieb, was sehr gut zur hohen Leistung passt. Mit 400 kW/544 PS vergehen bloß 3,8 Sekunden auf 100 km/h, dabei bleibt es sehr ruhig im Innenraum, es gibt keinen Soundgenerator und auch kein Surren, das auf den Leistungsabruf hindeutet. Der Polestar 4 wird auch darüber hinaus einfach linear schneller, ohne dem Fahrer etwas abzuverlangen. Er ist eines dieser Autos, bei dem man den Tacho besser immer im Blick hat, um nicht ungewollt über die Tempogrenzen zu schlagen. Ein Fall für die große Reise also? Ja, wenn man neben dem hohen Komfort an Bord etwa den Kofferraum betrachtet: 526 Liter sind das Grundvolumen, maximal sind 1536 Liter möglich. Wer zum 3er schielt: Vergesst es! Der bietet auf größerer Grundfläche bloß 484 bis 1.411 Liter Gepäckraum. Wie funktioniert die Kofferraumerweiterung? Nicht nur sind die Sitze getrennt umlegbar und mit einer elektrischen Lehnenverstellung versehen – etwa falls man dem Gepäck nur etwas mehr Platz bieten will (Cargostellung) bzw. jemand gemütlich hinten lümmeln will. Auch das Innenraumelement, wo man – von innen aus gesehen – die Heckscheibe vermuten würde, ist zu entfernen. Nicht viel anders, als wenn man bei einem gewöhnlichen Auto die Hutablage herausnimmt. Ach, einen Frunk gibt es auch: Positiv ist dabei, dass man nach der Entriegelung von innen kein Extra-Schnapperl betätigen muss, um ihn zu öffnen. Leider ist er aber so ungünstig geformt, dass man das Mode-3-Ladekabel schon sehr genau zusammenrollen muss, damit es sich ausgeht. Die Kunststoff-Extraklappe bleibt dabei nicht offen stehen und Beleuchtung gibt es auch keine. Alles zusammen sorgt spätestens bei einem nächtlichen Ladvorgang bei Regenwetter für Verärgerung.
Bedienung nicht immer schlüssig
Bleiben wir gleich bei den kleinen Schwächen dieses ansonsten sehr angenehmen Elektroautos. VW hat es vorgemacht: Man darf wieder zurückrudern, wenn sich Touchtasten am Lenkrad als unpraktisch erweisen! Und warum ist die Stärke der Rekuperation (drei Stufen von Segeln bis One-Pedal-Drive) nur in eine Richtung zu verstellen? Wer also in der praktischen mittleren Stufe fährt und vorausschauend bis zum nächsten Kreisverkehr segeln will, muss kurz die volle Rekuperation aktivieren, bevor es luftig-frei weitergeht. Grundsätzlich wäre das an den Touchtasten am Lenkrad einzustellen, durch deren geringe Feinfühligkeit greift man lieber zum Touchscreen.
Der funktioniert dafür sehr gut und erfreut mit einer möglichen Fünfteilung als Homescreen – ein Umstand, den wir uns schon beim Polestar 2 immer gewünscht haben. Navi, Audi, Telefon und einiges mehr lassen sich auf einen Blick darstellen und bedienen. Vor allem das Shortcut-Widget finden wir toll, nicht zuletzt, da man dort den Tempowarner mit einem Touch aktivieren oder deaktivieren kann. Auch für den Modus Reichweite/Power muss man dann nicht extra im reichhaltigen Menü fuhrwerken. Ach, da fällt uns wieder die Verstellung für Lenkrad und Außenspiegel ein: Muss man im Menü aktivieren und dann mit den Lenkradtasten justieren. Naja, nix für das häufige Autowechseln.
Lustig, aber eher ein netter Gag, sind die Einstellungen für das Ambientelicht: Man swiped sich durch das Sonnensystem und erfährt neben dem Farbwechsel (die Erde ist, no na, blau) einige Infos zum jeweiligen Planeten. Wir stehen darauf, den Fahrzeuginnenraum – vor allem bei Nachtfahrten – möglichst abzudunkeln ...
Alle Pakete inkludiert
Bei etwa fünf Grad Außentemperatur bot uns der Polestar 4 etwa 420 Kilometer Reichweite, wobei ein hoher Autobahnanteil dabei war. Etwas dezenter unterwegs und mit angenehmeren Temperaturen sind über 500 Kilometer möglich. Die 590 WLTP-Kilometer, die für den LRDM angegeben werden, erreichen eher Asketen. Netto fasst die Batterie 94 kWh, am DC-Lader sind maximal 200 kW möglich. Bei winterlichen Temperaturen und wenn man es nur kurz zum Charger hat – wo eine Vorkonditionierung also nicht viel hilft – fließt deutlich weniger Strom durch die Leitungen. Nachdem der Testwagen über das Plus-Paket verfügt, sind 22 kW statt 11 kW an einer entsprechenden AC-Ladesäule möglich.
86.590 Euro stehen als echter Listenpreis auf dem Preiszettel des abgebildeten Polestar 4. Förderungen lassen sich noch abziehen. Mit dabei ist die in diesem Fall extrem gut passende Farbe "Gold" (Polestar verzichtet hier dankenswerterweise auf lustige Marketing-Namen), Nappaleder (als "tierschutzgerecht" tituliert) in Zinc mit Charcoal-Dekor, Sichtschutzglas an den Seitenscheiben hinten und die drei Pakete Pilot, Plus und Performance.